Musikszene
"Hauptsache, der Lappen geht hoch."
Wenn Opernsänger plötzlich ausfallen ...
Von Stefan Siegert
"Ein unmögliches Kunstwerk" sei die
Oper, sagt der Musikschriftsteller Oskar Bie in seinem Opernbuch. In
der langen Reihe schier unlösbarer Paradoxa, die der sprachmächtige
Kenner darin als konstitutiv fürs Genre aufzählt, fehlt allerdings
ein wichtiges: Der Widerspruch zwischen der Sphäre zauberhafter
Illusion und dem real existierenden Apparat, der sie Abend für Abend
ermöglicht. Kaum etwas fordert diesen Apparat stärker heraus als der
Moment, in dem ein Mitglied des für eine Aufführung vorgesehenen
Gesangsensembles kurzfristig absagt. Darauf folgt meist die
medizinische Untersuchung eventueller Reparaturmöglichkeiten des
betroffenen Stimmapparats. Geht sie negativ aus, ist - vom
künstlerischen Betriebsbüro bis hinunter in die Werkstätten und
Beleuchterteams - extrem schnelles und wirkungsvolles Reagieren
angesagt. Nach Möglichkeit gleichzeitig müssen Gewandmeister und
Maskenbildner Kostüme, Schuhe und Perücken einer oft unerwarteten
Realität anpassen. Der in schweißtreibend kurzer Zeit von nicht
selten entlegenen Orten herangeschaffte Ersatz muss augenblicklich
in die Gänge, die Handlungen und Stichworte der Inszenierung
eingeweiht werden. Im Schnellverfahren sind Eigenheiten und Striche
der musikalischen Seite des Abends zu vermitteln. Das alles
geschieht in meist derart perfekter Abstimmung, Disziplin und
Gelassenheit, dass ein abgesagter Opernabend zu den extremen
Seltenheiten des Betriebs gehört. Weniger selten sind die Anekdoten
und Geschichten, die von den Fast-Katastrophen, den
Gerade-Noch-Rettungen und Bravourstücken entfesselter Improvisation
erzählen.
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